Sie drohten, ihn fallen zu lassen, wenn er nicht sofort ruhig sei. Plötzlich, Kluschewski sah es genau, brach ein Koppelschloß. Durch den starken Ruck und die höhere Belastung riß sofort auch das zweite ab, noch ehe die E`s reagieren konnten. Appich entglitt ihren Händen und fiel aus dem zweiten Stock nach unten. Die E-Fete fand ein jähes Ende. Schwerverletzt, mit gebrochenem Arm, Prellungen und Kopfverletzungen landete Appich im Militärkrankenhaus. Kluschewski wurde unter massiven Drohungen zum Schweigen gebracht und schließlich die Sache von oben vertuscht.

Wenn ich mir einzig allein die letzten zwei Tage durch den Kopf gehen ließ, mußte ich mich immer wieder fragen, ob ich das nicht alles träumte. Das war doch ganz sicher nur ein hartnäckiger, quälender Alptraum, der im Irrenhaus spielte, oder?

Aber von wegen, ich befand mich verdammt real inmitten eines Hexenkessels, der sich da NVA - Nationale Volksarmee - nannte. Und vor vier Wochen, an jenem 5. November 1985, hatte das Fiasko begonnen und mich buchstäblich über Nacht, einem Filmriß gleich, vom reizvollen Abenteuer Jugend in die Hölle verschlagen. Und das ohne Eingewöhnungsphase und ohne Fluchtmöglichkeit.

In allen Einzelheiten sehe ich noch den altersschwachen Bummelzug vor Augen, wie er sich am besagten Einberufungstag schwerfällig voranschleppte. Von der wie zum Hohn sonnengefluteten Novemberlandschaft war dank der trüben, ungeputzten Fenster nicht viel zu erkennen. Die Zukunft, speziell die vor mir liegenden 18 Monate, verursachten ein unangenehmes, flaues Gefühl in der Magengegend, das schwer loszuwerden war. Sicher, die letzte Nacht, der Abschied von Claudia hatten mich ganz schön traurig gemacht, ja wehmütig. Aber irgendwie konnte ich damals die volle Tragweite des "Zur-Fahne-Müssens", so der gebräuchliche Ausdruck für die unabwendbare Einberufung zur NVA, noch nicht erfassen. Von der Grundsubstanz her eher "zartbesaitet", hatte ich bisher vor aggressiven Burschen lieber den Schwanz eingezogen, bedrohliche Auseinandersetzungen vermieden. Trotz meiner Körpergröße von 1,90 m war ich ziemlich schlank, keine Heldenerscheinung.

weiterlesen

Copyright © 2005, 2023 Peter Tannhoff