»NVA - der Film« (2005)

Als ich Ende Mai 2006 in einem Münchener Kaufhaus einen DVD-Rekorder kaufen wollte, hörte ich zufällig, wie ein Verkäufer einen anderen im Scherz fragte: »Staubsauger oder Schildkröte?«. Mich durchfuhr ein Ruck, weil dies der NVA-Jargon für die Sprutz-Quälungs-Varianten durch die EKs war, die ich in meinem Buch ausführlich beschreibe. Auf meine erstaunte Anfrage hin lachten die beiden und sagten, sie hätten den Kinofilm »NVA« (von Leander Haußmann) gesehen, der sie sichtlich beeindruckt haben mußte (obwohl es trotz umfangreicher Werbung ein ziemlich seichter Film ist).

Ich hatte mir den Streifen ebenfalls schon angesehen und mußte feststellen, daß er sehr viele weitere Details aus meinem Buch »Sprutz« enthält wie z.B.

  • die »Musikbox«
  • den »Zivilalarm« (kurz vor der Entlassung zeigten sich die EKs den Sprutzen schadenfroh und übermütig in verbotener Zivilkleidung),
  • die schikanöse Vorenthaltung der Post durch den Spieß,
  • die erotischen Phantasien der Posten auf den Wachtürmen,
  • die »Schildkröte« (Stahlhelme an Kopf, Ellenbogen und Knie und ab die Treppe runter),
  • die wortkargen Schwedt-Rückkehrer mit ihren apathisch versteinerten Mienen,
  • Zitate des NVA-Jargons (nachzuschlagen im Glossar von »Sprutz«),
  • das Foto vor der entfalteten Truppenfahrne mit dem laut gesprochenem Pflichtsatz: »Ich diene der deutschen demokratischen Republik«) als »Höchste Belobigung«, sowie viele weitere Einzelheiten.

Ob genannte Ähnlichkeiten auf reinem Zufall oder bequemer Story-Übernahme beruhen, mag dahingestellt bleiben. In meinen Augen jedoch ist der Film eine absolute Verharmlosung der wahren Verhältnisse, wie sie in vielen NVA-Kasernen herrschten. Bei Haußmann lernt ein Sprutz (als solcher bekam man jedenfalls in Tautenhain nur selten Ausgang) ausgerechnet die hübsche Tochter seines Kompaniechefs kennen, der auch noch in seinem Eigenheim nebst Garten unweit des Kasernengeländes wohnt. Das ist realitätsferner Kitsch. Fast immer wohnten die Offiziere in grauen Einheitsblocks (»Boilerschließfächer«). Für einen Unbeteiligten, der von der NVA keine Ahnung hat, ist der Film womöglich eine unterhaltsame Klamotte, doch den Großteil ehemaliger NVA-Grundwehrdienstleistender dürfte er eher befremden bzw. enttäuschen.

 

»An die Grenze« (2007)

Im Kontrast zu Haußmanns »Werk« enthält der Film »An die Grenze« von Urs Egger (2007) viele realitätsnahe, plastische NVA-Szenen, obwohl auch hier die obligatorische Liebesromanze an den Haaren herbeigezogen wirkt. In ihm werden übrigens die beiden besonders perversen EK-Schikanen »Schildkröte« und »Staubsauger« authentisch dargestellt.

 

Kameradschaft und Freundschaft bei der NVA (aus Sicht des Autors)

Immer wieder werde ich gefragt, was ich denn zum Thema »Kameradschaft und Freundschaft bei der NVA« beisteuern könnte. Meine Erfahrungen und Beobachtungen haben mir gezeigt, daß so etwas zumindest in Tautenhain unter Soldaten und einfachen Unteroffizieren kaum bzw. sehr selten existierte und allein schon aufgrund der harten EK-Bewegung in den Anfängen erstickt wurde. Gleichgültig ob es sich um heißbegehrten Ausgang oder Urlaub drehte, um drohende Strafen, Dienste oder »Revierreinigen«, immer war sich jeder selbst der Nächste. Selbst Leute, von denen man es nie gedacht hätte, schreckten nicht davor zurück, ihre angeblichen Kameraden »in die Pfanne zu hauen«, wenn für sie dadurch eine Erleichterung heraussprang.

 

NVA und Stasi heute

Freunde und Bekannte aus meiner alten Heimat erzählen, daß ehemalige Stasi-Spitzel und NVA-Offiziere einem Spinnennetz gleich, leitende Funktionen in Politik und Wirtschaft auch in den alten Bundesländern übernommen haben, was mich zutiefst beunruhigt. Im Juli 2005 erfuhr ich aus sicherer Quelle, daß nach der Wiedervereinigung im Zuge der NVA-Auflösung vielen der Offiziere lukrative Posten bei den Arbeitsämtern angeboten wurden. Angeblich wollte man auf diese Weise einem schwelenden Gewaltpotential vorbeugen, das sich aus der jenen Entmachteten drohenden Perspektivlosigkeit durchaus hätte entwickeln können.

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