Das Jahr 1985 hatte für mich einen bitteren Beigeschmack, denn es war das Jahr meiner unabwendbaren Einberufung in die Nationale Volksarmee. Der 5. November war jener schwarze Tag, der meine Lebensfreude und einen unwiederbringlichen Teil meiner kostbaren Jugendzeit für achtzehn unendlich lange Monate entführt hatte. Doch jetzt, im September 1987, lugte das Glück ganz scheu wieder hervor: Claudia und ich konnten nun doch noch gemeinsam in Erfurt studieren, auch wenn der Studienplatz nicht meinen Wünschen Maschinenbau oder Elektronik entsprach. Ein »Nur-Grundwehrdienstler« wie ich galt in den Augen von Honeckers Parteifunktionären schon fast als Drückeberger und durfte sich deshalb glücklich schätzen, überhaupt bei der Vergabe der begehrten Studienplätze berücksichtigt zu werden. Anfangs wohnten wir getrennt in verschiedenen Studentenwohnheimen. Ich mußte mir mit zwei Kommilitonen der Studienrichtung Polytechnik ein Zimmer in einer Studentenwohnung teilen, in der jeweils rund zehn Studenten in drei Zimmern untergebracht waren – wieder einmal in platzsparenden Doppelstockbetten. Zum Lernen und Studieren kam ich in meinem Wohnheim nicht, denn vor allem meine jüngeren Kommilitonen, die »Ungedienten«, denen das leidige Kapitel NVA bisher erspart geblieben war und die nun erstmals fernab von zu Hause in der Großstadt wohnten, ließen es ordentlich krachen. Ihnen hatte noch kein Boiler »die Flügel gestutzt«, kein EK oder Pinnau je »den Arsch angebrannt«, übermütig feierten sie jede Nacht ihre neuen Freiheiten.

Claudia bewohnte gemeinsam mit einer Studienkollegin ein winziges Zimmer von nur zehn Quadratmetern in einem Wohnheim direkt auf dem Hochschulgelände. Die räumliche Beschränkung brachte aber immerhin den Vorteil, daß sie die Behausung nicht mit mehreren Mädchen teilen mußten, und so blieb ihnen mehr Ruhe zum Lernen. Verständlicherweise zog Claudias Mitbewohnerin Magda es schon bald vor, bei ihrem Freund zu wohnen, der bereits arbeitete und eine eigene Wohnung in der Stadt besaß. Diese Chance nutzten wir, mich mit in das Minizimmer einzuquartieren, ohne daß Magda diesen Platz offiziell aufgab.

weiterlesen

 Copyright © 2005, 2023 Peter Tannhoff